Lügenpresse oder Hort der Demokratie?

Die Pressefreiheit ist in Deutschland im Grundgesetz Artikel 5 verankert und in Österreich in der Bundesverfassung. Eine ausgeprägte staatliche Zensurbehörde gibt es in beiden Ländern tatsächlich nicht, lediglich der Schutz vor Verleumdungen und glatten Falschbehauptungen bietet eine gewisse Einschränkung. Aber mit Gefängnis muss in den westlichen Industrienationen bisher in der Regel kein Journalist rechnen.

Trotzdem häufen sich in letzter Zeit immer mehr Vorwürfe den Medien gegenüber. In der Regel wird ihnen eine Voreingenommenheit gegenüber dem eigenen politischen Lager unterstellt, bis zu der Behauptung, sie würde glattweg lügen. Vom gegnerischen Lager wird dann in der Regel behauptet, das sei schlicht falsch, unsere Presse sei schließlich frei und unterliege nicht wie in Diktaturen einer Zensur.

Natürlich ist die Abwesenheit von offizieller Zensur für eine freie Presse unabdingbar, aber es gibt gute Gründe anzunehmen, dass das nicht ausreichend ist. 2016 hat der Journalist Ulrich Teusch1 ein Buch veröffentlicht mit dem schon deutlich differenzierter klingenden Titel „Lückenpresse“, mit dem er auf die grassierenden Vorwürfe der „Lügenpresse“ reagierte. Es wendet sich gegen die pauschalen Angriffe auf die Presse ebenso wie gegen ihre pauschale Verteidigung.

Im Internet sind heutzutage Informationen in unglaublicher Fülle und oft direkt von Beteiligten erhältlich. Die Presse ist schon lange kein Gatekeeper für Informationen mehr. Unter diesen Nachrichten sind aber tatsächlich fabrizierte Behauptungen („Fake news“), die es von echter Information zu unterscheiden gilt. Dafür sind Journalisten ausgebildet, die Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit einer Quelle ist ihr täglich Brot. Aber auch die Auswahl aus der unglaublichen Informationsfülle und die Aufbereitung und Einordnung der relevanten Informationen zeichnet guten Journalismus aus. Leider steht es um diese Tugenden sehr viel schlechter als um die Abwesenheit von Zensur.

Eine ausgewogene Berichterstattung ohne Vorurteile ist unverzichtbar für eine funktionierende Demokratie. Aber was passiert, wenn die Presse aus den zahlreichen Gewalttaten, die in die Polizeistatistik eingehen, jene herausgreift, bei denen die Tatverdächtigen einen Migrationshintergund haben? Dann wird ein Klima des Misstrauens und der Fremdenfeindlichkeit geschürt, ganz ohne Falschbehauptungen. Oder aber, wenn aus political correctness die Herkunft der Täter verschwiegen wird? Dann würde ein Problem heruntergespielt. Wenn Menschen, die sich nicht gegen das Corona-Virus impfen lassen wollen als Gefahr für die Allgemeinheit dargestellt werden, obwohl vielleicht die Datenlage diesen Vorwurf schon längst nicht mehr rechtfertigt ist dies ebenso bedenklich wie wenn Gefahren durch das Virus geleugnet werden.

Natürlich sind einige Medien, insbesondere Zeitungen und Sender mit privaten Eigentümern, wie der Axel-Springer Konzern, für solche Manipulationen besonders berüchtigt, aber es gibt keinen Beweis dafür, dass das Problem in öffentlich finanzierten Medien abwesend wäre. Die meisten Journalisten sind auf ihren Job angewiesen und daher einem starken Druck ausgesetzt, zu schreiben oder zu sagen was ihre Chefs hören möchten oder zumindest nicht zu weit von der akzeptierten Linie abzuweichen.

Ein weiterer Hemmschuh für eine ausgewogene Berichterstattung ist die soziale Herkunft der Journalist:innen. Wie der aus der Arbeiterklasse stammende Journalist Christian Baron anmerkt ist diese Klasse im Journalismus unterrepräsentiert. Juan Moreno, ebenfalls von bescheidender sozialer Herkunft und mit Migrationshintergrund, deutet in seinem Buch2 über die Affäre um Claas Relotius an, welche Unterschiede es in den Karriereoptionen für Journalisten unterschiedlicher Herkunft gibt. Mit zunehmender Verbreitung schlecht bis gar nicht bezahlter Praktika und Voluntariate sowie der Forderung nach Auslandserfahrung dürfte das nicht besser geworden sein. Die Herkunft prägt aber entscheidend, wie jemand z.B. die Diskussion um einen Mietendeckel oder Bürgergeld wahrnimmt und darüber schreibt.

Jedes einzelne Wort oder Bild, das in einem Artikel oder einer Sendung verwendet wird, hat Einfluss darauf, wie der Adressat die dargestellten Fakten wahrnimmt. Es gibt einen gefühlsmäßigen Unterschied zwischen „ermordet“, „getötet“ und „verlor sein Leben“, auch wenn das Ergebnis gleich ist, und da ist noch kein Adjektiv verwendet worden.

Das Overthon-Fenster ist ein Konzept nach dem die öffentliche Diskussion den Rahmen festlegt, der die möglichen politischen Entscheidungen bestimmt. Politik, die in der Mitte des Fensters angesiedelt ist, kann ohne größere Probleme durchgesetzt werden, zu den Rändern hin werden entsprechende Maßnahmen als zunehmend extrem bis zu inakzeptabel angesehen. Das Fenster ist aber nicht fix sondern lässt sich durch den öffentlichen Diskurs verschieben. Dies kann eine Partei z.B. dadurch erreichen, dass sie Statements von sich gibt, die außerhalb des akzeptierten Rahmens liegen und bereit ist, den entsprechenden Backslash auszuhalten. Selbst wenn sie zurück rudert: Was in den Medien war hat Spuren hinterlassen. Ein paar solcher Aktionen und Behauptungen wie „Ausländer sind für die Kriminalität verantwortlich“, die früher vielleicht Karrieren beendet hätten gehören plötzlich zum guten Ton. Die früher als absolut respektabel angesehene Meinung zu vertreten, dass man keine Waffen in Kriegsgebiete liefern sollte, erfordert inzwischen hingegen Mut. Impfschäden durch die Corona-Impfung zu erwähnen ist ebenso schwierig, obwohl dieses Phänomen prinzipiell bei jeder Impfung vorkommt.

Aber es ist entscheidend, was in den Medien war: Wenn linke Gruppen auf ihren Kongressen über Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen reden verschiebt das natürlich nichts. Wenn hingegen Vertreter einer Partei in einer Talkshow einen Mietendeckel fordern verschiebt dies das Overthon-Fenster ein klein wenig.

Wie aber kann eine moderne Medienlandschaft gestaltet werden, die solche Einseitigkeiten so gut es geht reduziert? Neben einer gesicherten finanziellen Grundlage für Journalist:innen, die es ihnen erst ermöglichen würde, zu sagen und zu schreiben was sie für richtig halten ohne Angst zu haben, sich und ihre Familien in Armut zu stürzen, ist vor allem eine Reduzierung der Macht einzelner Funktionär:innen nötig.

Ein aktueller Konflikt, bei dem der Vorwurf der Einseitigkeit besonders häufig zu hören ist (interessanterweise von beiden Seiten) ist der Konflikt zwischen Israel und Palästina. Gerade im englischsprachigen Raum mit seinem geringeren Schutz für Arbeitnehmer sahen sich zahlreiche Journalist:innen aufgrund ihrer Berichterstattung und Interviewfragen mit Entlassung konfrontiert. Andere geben hinter vorgehaltener Hand zu, dass die Angst vor Arbeitslosigkeit der entscheidende Grund war, warum sie nicht ihrer Einschätzung entsprechend berichtet haben. So z.B. etliche Beschäftigte der BBC, die sich, nachdem interne Beschwerden zu keiner Änderung geführt hatten, an den unabhängigen Journalisten Owen Jones wendeten. Dieser hat nach sorgfältigen Recherchen, die auch vor Gericht bestehen mussten, einen langen Text veröffentlicht3.

Die Whistleblower bei der BBC machen darin ihm gegenüber deutlich, dass es einzelne Personen sind, die die Hauptverantwortung für die einseitige, Israel-freundliche, Berichterstattung tragen. Diese Personen sitzen an Stellen die ihnen die Macht geben, Beiträge abzulehnen, zu kürzen oder umzuschreiben. Auch wenn dieses Thema extrem anfällig für Druck ist und emotional durch den ständig in der Luft schwebenden Vorwurf des Antisemitismus aufgeladen ist, dürfte es nur ein Beispiel für eine insgesamt problematische Medienlandschaft in westlichen Ländern sein.

Chefredakteure, Rundfunkräte, Eigentümer: Sie alle haben eines gemeinsam. Es handelt sich um wenige Personen, die dauerhaft Machtpositionen inne haben. Solche Personen können eine eigene Agenda verfolgen, nicht mal unbedingt bewusst. Vor allem aber sind sie exponierte Ziele für Versuche der Einflussnahme. Sie haben die Macht, das journalistische Fußvolk auf Kurs zu bringen, und sei es nur dadurch, dass einige Beiträge veröffentlicht werden und an welcher Stelle während andere in der Schublade verschwinden.

Bereits die Bürger des antiken Athens wussten um die Gefahr der einseitigen Einflussnahme, und sie hatten eine Lösung dafür: Losen und Rotation. Wo der Zufall regiert und Macht geteilt wird hat gezielte Einflussnahme wenn überhaupt nur kurze Wirkung, was sie natürlich viel unattraktiver macht.

Ich schlage daher vor, Hierarchien im Journalismus zu verflachen und Machtpositionen durch Rotation und Los nicht mehr an „Verdienste“ oder „Erfolg“ zu knüpfen, die doch allzu oft nur Synonyme für Wohlverhalten sind. Wenn jede und jeder mal in die Position kommt, zu entscheiden, welche Beiträge wo veröffentlicht werden, sollte auch das Verständnis füreinander gestärkt werden. Natürlich muss man nicht den gerade neu eingestellten Voluntär in das System einbeziehen, eine gewisse Erfahrung als Voraussetzung um im Lostopf zu landen ist sicher sinnvoll, aber eben auch nicht viel mehr.

Aber was ist dann mit „Karriere machen“? Nun, dass erreichte Machtpositionen mit mehr Ansehen und Geld verbunden sind würde dann natürlich wegfallen. Aber das bedeutet ja auch, dass es nicht mehr so wichtig ist, dafür Prinzipien über Bord zu werfen. Das Basishandwerk, schreiben, recherchieren, Interviews führen, das sollen alle machen wie bisher, auch die bisherigen Chefs. Die Funktion der Chefs, die entscheiden, was produziert, gedruckt, oder gesendet wird und wann, die wird abwechselnd von allen wahr genommen. Wer wann dran ist entscheidet das Los.

Die Aufsicht über den öffentlich rechtlichen Rundfunk obliegt in Deutschland den Rundfunkräten, in Österreich dem Stiftungsrat. In Deutschland durch den Rundfunkstaatsvertrag geschaffen werden sie Vertretern aus verschiedenen Organisationen (Kirchen, Gewerkschaften, sogar Fraktionen) besetzt, in Österreich wird sogar die Mehrheit der Mitglieder von Regierungen und Parteien bestimmt. Dabei sollen sie ihrem Auftrag gemäß einen Querschnitt der Bevölkerung abbilden. Das dürfte bei der geschilderten Besetzung wohl ein frommer Wunsch bleiben. Eine Alternative wäre ein geloster Rundfunkrat. Dieser könnte tatsächlich den Anspruch erheben, die Bevölkerung in einer ausreichenden Diversität zu repräsentieren. Auch hier gewährleisten kurze Amtszeiten und Rotation über die Zeit hinweg eine Repräsentation auch zahlenmäßig kleiner Gruppen.

  1. Ulrich Teusch, Lückenpresse, Westend-Verlag 2018 ↩︎
  2. Juan Moreno, Tausend Zeilen Lüge, Rohwolt Verlag 2019 ↩︎
  3. https://www.dropsitenews.com/p/bbc-civil-war-gaza-israel-biased-coverage ↩︎

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert