Die Ampelkoalition ist am Ende, der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz will die Vertrauensfrage stellen. Dann wird neu gewählt und es gibt schneller eine neue Regierung, das ist alles.
Oder vielleicht doch nicht? Wahlen benötigen in unserem Land eine gehörige Menge an Vorbereitung. Dazu gehört mehr als das von der Bundeswahlleiterin angedeutete Drucken von Stimmzetteln und die dafür benötigten Kapazitäten. Die Parteien, die zur Wahl antreten wollen, müssen entsprechende Wahlvorschläge einreichen. Insbesondere kleine Parteien sehen sich hier schon bei einer normalen Wahl vor enorme Herausforderungen gestellt.
Wir leben in einer Demokratie, sagt man. Für Unzufriedene, die ihr Recht auf Einfluss auf die Politik wahrnehmen wollen, schlagen die Verfassungen parlamentarischer Demokratien einen Weg vor: Die Gründung einer Partei. Wer jedoch schon einmal versucht hat, einen solchen Weg zu gehen weiß, dass sich eine neue Partei mit erheblichen, nahezu unüberwindlichen Hürden konfrontiert sieht. Die 5%-Hürde ist dabei nur die bekannteste1.
Neben den beschränkten finanziellen Mitteln aus Beiträgen und Kleinspenden, die den sechsstelligen Beträgen, die die etablierten Parteien für Wahlkampf und Wahlvorbereitung ausgeben können und die aus der Staatskasse und von vermögenden Gönnern kräftig aufgebessert werden und dem Desinteresse der Medien ist es vor allem die Sammlung von Unterstützungsunterschriften, die jede Partei, die noch nicht im Parlament vertreten ist, bei jeder Wahl erneut vor große Herausforderungen stellt.
Die Parlamentsparteien sind von dieser Pflicht nämlich ausgenommen. Und wer hat diese Regelung so gestaltet, wie sie ist? Richtig – das Parlament und die Regierung. Akteure also, auf die die Ausgestaltung der Parteiengesetzgebung erhebliche Auswirkungen hat.
Unterstützungsuunterschriften
In Deutschland müssen für die Teilnahme an einer Bundestagswahl über 27.000 Unterschriften gesammelt werden, wenn eine Partei in jedem Bundesland teilnehmen will. Nicht auf Listen, wie bei einer Petition, sondern auf speziell dafür ausgegeben Formularblättern, auf denen persönliche Daten abgefragt werden. Bei jedem einzelnen dieser Formulare muss dann vom zuständigen Einwohnermeldeamt bestätigt werden, dass der Unterschreibende auch tatsächlich für die in Frage kommende Wahl wahlberechtigt ist und nicht bereits für eine andere Partei eine Unterstützungsunterschrift geleistet hat.
Mit dem Sammeln kann erst begonnen werden, wenn die jeweilige Landesliste aufgestellt und eingereicht wurde. Danach müssen in jedem Bundesland 2000 Unterschriften gesammelt werden, in einigen kleineren weniger. Für die Aufstellung der Landesliste und den Beginn des Sammelns gibt es Fristen, bei einer regulären Wahl steht demnach für die Sammlung der Unterschriften etwas mehr als ein Jahr zur Verfügung, wenn die Fristen voll ausgereizt werden. Bei einer vorgezogenen Neuwahl sind diese Fristen erheblich kürzer, die Zahl der zu sammelnden Unterschriften bleibt jedoch gleich. Immerhin könnten Parteien, wenn sie die Fristen voll ausreizen wollten, bereits aufgestellt und mit dem Sammeln begonnen haben. Da die Sammlung in der Praxis meist auf der Straße erfolgt bietet sich das Winterhalbjahr allerdings eher weniger dafür an, so dass viele Parteien sicher noch nicht so weit sind. Da Geld knapp ist müssen die Unterschriften in der Regel von den Parteimitgliedern in ihrer Freizeit gesammelt werden.
Natürlich könnten die Hürden gesenkt werden. Das wurden sie auch zur letzten Bundestagswahl aufgrund der Corona-Pandemie. Auch damals allerdings nur widerwillig nachdem das Bundesverfassungsgericht eine Absenkung angemahnt hatte. Digital durfte auch damals nicht gesammelt werden. Den Bürgern des Landes wurden zur Eindämmung der Pandemie drastische Einschränkungen verordnet, Kinder wurden zum lernen zu Hause und zum Spielen alleine verdonnert, aber die Kleinparteien wurden dazu gezwungen, zwischen dem Verzicht auf eine Wahlteilnahme und dem im Grunde unverantwortlichen Herstellen von Kontakten mit fremden Menschen zwecks Sammlung von Unterschriften zu wählen.
Faire Bedingungen in eigener Sache?
Wem nützen diese Hürden? Wirklich der Demokratie? Ist die Begrenzung der zur Wahl zugelassenen Parteien wirklich im öffentlichen Interesse? Ergibt es Sinn, dass zu jeder Wahl erneut, und zwar erst nach Aufstellen der Landesliste, Unterschriften gesammelt werden müssen? Beeinflussen die dem Wähler in der Regel gar nicht bekannten Personen auf der Liste überhaupt seine Entscheidung, eine Unterstützungsunterschrift zu leisten oder nicht? Und wenn die Menschen auf der Liste so entscheidend sind, warum gilt das dann nicht für die Listen der Parlamentsparteien? Oder – ist das ganze nur Schikane, um sich lästige Konkurrenz vom Hals zu halten?
Wer könnte diese Fragen objektiv beantworten und eine gerechte Regelung finden? Kann man von Parlament und Regierung eine gerechte Entscheidung in eigener Sache erwarten, auch wenn sie dadurch Nachteile in Kauf nehmen müssten? Ich denke nicht. Die Wahl ist in unserem System das Königsrecht des Souveräns, des Bürgers und der Bürgerin. Es ist die Stelle, an der die Macht, die vom Volke ausgeht, an die Parlamente delegiert wird. Also sollten die Menschen auch entscheiden können, wie genau sie diese Macht delegieren wollen, wenn sie es schon müssen.
Der Einsatz geloster Bürgerräte ist noch recht neu. Auch wenn die Erfahrungen ermunternd sind ist es allzu verständlich, wenn viele Menschen gelosten Versammlungen die Ausarbeitung komplizierter Gesetze nicht zutrauen. Ob dieses Misstrauen berechtigt ist oder nicht kann nur intensives Experimentieren und damit Erfahrung zeigen. Ein Punkt sollte aber jetzt schon klar sein: Für die Festlegung der Spielregeln, nach denen Macht in einer parlamentarischen Demokratie erworben wird, sind jene völlig ungeeignet, die nach dieser Macht streben. Das trifft auf jeden Fall auf jene zu, die sie derzeit innehaben. Parteien- und Wahlgesetz wären daher auf jeden Fall die ersten Kandidaten für Gesetze, die verbindlich von gelosten Bürgerversammlungen entschieden werden sollten, evtl. mit einem anschließenden Referendum, bei dem die gesamte Bevölkerung der Entscheidung Legitimation verschafft.
Aber die Zeit ist knapp…
Bei den jetzt angekündigten Neuwahlen ist die Zeit natürlich knapp. Jetzt noch einen Bürgerrat auszulosen, der gerechte Regelungen vorschlagen könnte, wäre wohl in der Kürze der Zeit keine Option mehr, zumal ohne eine verpflichtende Teilnahme die Notwendigkeit besteht, die unterschiedliche Bereitschaft einzelner Bevölkerungsgruppen zur Teilnahme durch aufwändige Verfahren zu kompensieren. In einer Demokratie, die stärker auf das Los setzt muss dies aber keine Hürde sein. Es könnte immer ein fertig ausgeloster Bürgerrat für einen kurzfristigen Einsatz zur Verfügung stehen. Dieser könnte entweder auf seinen Einsatz warten oder eine andere, planbare Aufgabe erhalten, wenn der nächste ausgelost wird.
- Wer sich für Kleinparteien und die Hürden, denen sie sich gegenübersehen, interessiert sei auf das Forum demokratische Vielfalt verwiesen. Dieser Verein möchte bessere Chancen für kleine Parteien erreichen und damit eine bessere Demokratie für alle Bürgerinnen und Bürger ↩︎
Völlig richtig.
Aus diesem Grund streben wir ‚Selbstbestimmten Demokraten e. V.‘ danach, dass unparteiische Abgeordnete in die Parlamente einziehen.
Ob das über geeignete und ausgeloste Kandidat*innen geschieht … oder über geeignete und gewählte Kandidat*innen, ist im Grunde egal.
Die Hauptsache ist, dass die internen Interessen von Parteimitgliedern (… die noch nicht einmal 2 % der Wahlberechtigten repräsentieren) keinen Einfluss mehr auf ihr Abstimmungsverhalten in den Parlamenten haben.