Wie treffen wir gemeinsam eine Entscheidung für uns alle? Das ist eine der Grundfragen der Demokratie.
Wir sind es gewohnt, dass Entscheidungen per Mehrheitsbeschluss getroffen werden. Auch wenn oft nur das antike Athen und die moderne parlamentarische Demokratie als Demokratien bezeichnet werden, beides Gesellschaften mit Mehrheitsentscheidungen, kann man ethnologischen Beschreibungen entnehmen, dass das gemeinsame Treffen von Entscheidungen in Gruppen auf Augenhöhe durchaus keine Erfindung Europas ist.
Die meisten dieser Gesellschaften stimmen allerdings nicht ab, sondern streben einen Konsens an. Wie der verstorbene Anthropologe David Graeber bemerkte*1 kommen Abstimmungen in der Regel dann vor, wenn eine historisch äußerst selten anzutreffende Kombination vorliegt.
- In der betreffenden Gruppe gelten alle Individuen als gleichwertig, mit gleichen Rechten
- Die getroffene Entscheidung kann im Zweifel mit Gewalt durchgesetzt werden
Diese Kombination ist sehr selten, denn Gruppen, in denen Entscheidungen mit Gewalt durchgesetzt werden sind meist hierarchisch organisierte Gruppen, keine egalitären. In Gruppen, in denen keine Gewalt zur Durchsetzung üblich ist ist eine Mehrheitsentscheidung, die immer Verlierer produziert, so ziemlich das letzte, was man gebrauchen kann. Ein Konsens oder Konsent, bei dem die Meinung aller Berücksichtigung findet und am Ende ein Ergebnis steht, mit dem alle oder doch die allermeisten gut leben können, mag schwieriger und langwieriger zu erzielen sein, aber alle wesentlichen Hindernisse für seine Verwirklichung sind dann schon aus dem Weg geräumt.
Auch wenn es nicht direkt etwas mit Losen zu tun hat beschäftigen wir uns daher auch intensiv mit Verfahren zur Entscheidungsfindung. Je mehr man sich damit beschäftigt, desto primitiver mag einem die übliche Form der Entscheidungsfindung per Abstimmung vorkommen. Die Welt ist nicht schwarz-weiß, warum sollten unsere Entscheidungen es sein?
Wenn es drei Möglichkeiten gibt, und einfach abgestimmt wird kann es sein, dass sich eine durchsetzt, nur weil sich die Stimmen der Menschen, die diese Möglichkeit schlecht finden auf die anderen beiden verteilen (und gibt es noch mehr wird das keineswegs besser). Systemisches Konsensieren z.B. kann hingegen mühelos mit einer Vielzahl von Möglichkeiten umgehen, ohne derartige Verzerrungen.
In vielen Fällen müssen wir uns am Ende für eine Möglichkeit entscheiden, die umgesetzt werden soll, da sich manche Vorschläge nun mal gegenseitig ausschließen. Aber heißt das wirklich, sich gegen alle anderen auszusprechen? Die Welt ist nicht schwarz und weiß, und daher sind andere Lösungsstrategien nicht schlecht, nur weil wir eine für die beste hielten. Möglicherweise tauchen auch später Hindernisse und neue Erkenntnisse auf, die die Entscheidung in Frage stellen. Die Würdigung alternativer Lösungen trotz (vorläufiger) Entscheidung für nächste Schritte tragen die Verfahren der Pyramidendiskussion und der Soziokratie Rechnung.
Sicher gibt es noch mehr interessante Entscheidungsverfahren. Du kennst ein Verfahren, das du interessant findest, und das hier nicht auftaucht? Schreib uns gerne eine Mail, wir sind immer interessiert, neues zu lernen. Wenn du dich noch stärker einbringen möchtest, kannst du auch gerne bei uns mitmachen. Wir sind eine offene Gruppe, prinzipiell ist jeder willkommen, der oder die konstruktiv mitarbeiten möchte.
2David Graeber 2005: Frei von Herrschaft – Fragmente einer anarchistischen Anthropologie, 1deutsche Übersetzung: Peter Hammer Verlag GmbH, Wuppertal 2008, Seite102f